"Siehe, ich schaffe etwas Neues". Wir halten den Atem an. Und sind gespannt.

Schmetterling, Bild von Christine Conti, stock.adobe.com

Ein Brief zu Pfingsten. Von P. Adolf Temme ofm aus Teresina, Brasilien: Liebe Freundinnen und Freunde unserer Mission, wie mag es Euch gehen in diesen Tagen, wo die Welt ganz nah zusammengerückt ist und nur ein Thema kennt? - Ihr werdet fragen: Wie geht es Euch? - Wir halten die Luft an, aber man muss ja weiteratmen. Der Tag beginnt still, als ob wir keine Nachbarn hätten. Aber dann dreht der Laden des Faustus seinen Lautsprecher auf: FRISCHES FLEISCH! Vielleicht wagt sich einer auf die Straße. Die Kirche Santa Rosa gibt ein Lebenszeichen am Abend, mit Rosenkranz und Litanei. 

Hier im Haus bin ich allein mit Bruder Cicero. Morgens kommt Antonia zum Kochen und Putzen. Die Regenzeit war ausgiebig und hält noch an. Gestern hat ein Singvogel den Weg durchs Küchenfenster gefunden und fühlt sich hier sicher. Er war im Käfig in der Nachbarschaft. Nun singt er hier im Garten, ein Canarinho, der zur verfolgten Gattung gehört. Sein Besitzer umschweift das Gelände mit dem offenen Käfig und einem Lockvogel, aber der Befreite will nichts von ihm wissen. 

Wir haben die Kar-und Ostertage mit drei Frauen aus drei Generationen und mit uns zwei Männern gefeiert. Mehr waren bei Jesu Auferstehung auch nicht dabei. Aus der seelsorgerlichen Arbeitslosigkeit bin ich ausgebrochen, indem ich jeden Morgen über Mobiltelefon einen geistlichen Impuls aussende. Die Epidemie ist gefährlich in der ganzen Welt, aber in Brasilien ganz besonders, weil der Steuermann ein Betrunkener ist, seines Amtes unwürdig und unfähig. Es muss irgendwie an der Regierung vorbei regiert werden, über die Gouverneure der Bundesstaten. Die Leichenfelder werdet Ihr in der Tagesschau gesehen haben. Der Bagger macht die Löcher und der Erdschieber schüttet sie zu.

Hier in der Stadt hält sich die Epidemie noch in Grenzen, weil der Höhepunkt noch nicht erreicht ist. Aber unser Stadtteil registriert schon über 30 Infizierte. Auf einmal ist es still beim Wirt in unserer Nachbarschaft, der die arbeitslosen Männer mit Alkohol tröstete. Alle Regeln des Trauerausdrucks sind außer Geltung. Die Gefühle erstarren. Eine Bekannte bekam Nachricht vom Tod ihres Bruders, der in Belém (eine Stadt am Delta des Amazonas) als Arzt gekämpft hat, bis er den Virus spürte und trotzdem weitermachte bis zum Umfallen. In Belém ist es katastrophal. 

Die Trauernden dort haben keine Tränen, und sagten: „Das war nicht Gott. Das war ein Namenloser ohne Erbarmen: Der lacht über meinen Schmerz.“ 

Ich hörte eine Geschichte über die TRÄNEN GOTTES, aber die habe ich vergessen. Erinnere mich nur noch: Gott sieht alles Leid auf Erden und weint über jeden Schmerz. Seine Tränen fallen in eine große Tonschüssel, die Platz hat für jede Not; und die reicht aus für alle Zeit. Kann uns das nicht trösten? Kein Leid ohne Gottes Mit-leiden! 

Wir gehen Pfingsten entgegen, dem Herabkommen des Hl. Geistes, der auf der ganzen Welt die gleiche Sprache kennt. Vielleicht muss er uns die Tränen aus den Augen waschen und sie öffnen. Gott liebt diese Erde; er ist dabei, sie zu erneuern durch eine schmerzvolle Umwälzung. Aber wir sind erschrocken. Unser Leben ist in den Katakomben. Wann dürfen wir wieder auf die Straße? Erst wenn wir einsehen, dass die alte "Ordnung" eine Katastrophe war, die nicht wiederhergestellt werden darf. "Siehe, ich schaffe etwas Neues". Wir halten den Atem an. Und sind gespannt.

Die politische Lage in Brasilien ist zum Verzweifeln, aber sie ist jetzt eine Weltangelegenheit geworden, und es kommt Hilfe aus der Außenpolitik. Der Export wird zusammenfallen. China, der große Handelspartner, ist diplomatisch brüskiert worden. Europa stoppt die Einfuhr von Soja. Nur so kann der Riese mit Holzbein zur Vernunft kommen. Innenpolitisch ließ sich die Nation alles gefallen. Aber das ist jetzt anders geworden. Der Justizminister Sérgio Moro, bevor er abdankte, hat eine Sondersitzung des Präsidenten mit dem Ministerrat gefilmt und dem Obersten Gerichtshof zur Prüfung übergeben. Dieser wiederum hat den Film freigegeben, und das kann sich jeder in der brasilianischen Tagesschau ansehen: Die Sprache ist aus der Gosse und die Pläne sind vom Teufel. Während dieser Sitzung sagt doch der Umweltminister Ricardo Salles: „Dies ist die Zeit (der Epidemie), wo wir die Herde vorantreiben sollten, um das zu tun, was uns immer erschwert wird“. Gemeint ist die Lockerung der Umweltauflagen, Freigabe der Ausbeutung des Amazonasgebietes. Der Kultusminister Abraham Weintraub steht auf: „Ich würde die Vagabunden, insbesondere die vom Verfassungsgericht, allesamt einsperren lassen!“ 

Das Amtsenthebungsverfahren ist schon dem Kongress zur Abstimmung übergeben. Dieser lässt sich Zeit, dass der faule Apfel von selbst fällt. Die Lage ist zu kritisch, um Kräfte zu verlieren. Die Epidemie ist keineswegs im Griff. Die Lage wird schöngeredet. In Teresina kämpfen alle Krankenhäuser gegen den Virus. Das bedeutet, dass viele andere Kranke ihre Behandlung stoppen, weil sie Ansteckung fürchten. Das ganze Hinterland vom Staat Piauí hat keine Intensivstationen. Welche Chance hat ein Infizierter, der aus 600 km Entfernung auf schlechten Straßen herbeigefahren wird? - Für alle ein Graus: Weil zu wenig Beatmungsgeräte da sind, muss der Arzt notgedrungen selbst entscheiden: „Der wird behandelt und der nicht!“ Von der anderen Seite steigt der Druck auf Lockerung der Quarantäne, was die Lage der Ökonomie verbessert und den Virus noch aufwirbelt. 

Wie wird man ganz persönlich mit der Gefahr fertig? Zunächst das Bibelwort: „Dann werden zwei auf dem Feld sein; der eine wird genommen, und der andere wird zurückgelassen“ (Mt 24,40).

Nachrichten kommen näher: Cristina ist abgeholt worden! Ein Schrecken. Dann höre ich vom Kloster in São Paulo: sechs Brüder eingeliefert und alle wieder gesund entlassen. Das war der Durchbruch. Das Gespenst hat die Macht verloren. 

Zu Anfang der Fastenzeit habe ich die Geschichte von der Raupe und vom Schmetterling erzählt: Mit Ostern sind die Flügel gewachsen; der Schmetterling, der schon ausfliegen könnte, sitzt noch im geschützten Loch einer Mauer und hält sich fest. Zu Pfingsten, wenn der Sturm kommt, wird er herausgeschmissen. 

Denkt an uns. Wir denken an Euch. 

P. Adolf Temme ofm

(Bild von Christine Conti, stock.adobe.com)