Wir leben wie mit einem Strick um den Hals!

Zur Situation der Armen in der Corona-Pandemie erreichte uns eine E-Mail von der Franziskanerschwester Maria Arli Sousa Nojosa aus Teresina, die im nordostbrasilianischen Bundesstaat Piauí in einem Sozialprojekt für Straßenkinder und alleinerziehende Mütter verantwortlich ist. Sie schildert uns am 13. Mai 2020 ihre persönlichen Eindrücke, wie arme Familien in ihrer Stadt unter der Corona-Pandemie leiden und was sie tut, um die Not zu lindern: 

In Brasilien haben sich schon mehr als 200.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Damit sind wir Spitzenreiter in ganz Lateinamerika. Alle Grenzen sind geschlossen. Der brasilianische Präsident fordert die Menschen jeden Tag auf, das Haus zu verlassen und zu arbeiten. Damit würde die Infektionsrate auf jeden Fall deutlich steigen. In den meisten Hauptstädten Brasiliens haben sie schon keine Intensivbetten mehr. Die Ansteckungswelle schreitet hier besonders schnell voran. Die Verbreitung des Corona-Virus in kleineren Städten verursacht aber auch Sorgen, Ängste, Depressionen sowie immer mehr Schwerkranke und Tote.

Im Bundesstaat Piauí war es bis letzte Woche einigermaßen ruhig. Aber der Corona-Virus schreitet auch hier voran. Aus Ignoranz sagen viele, dass das Virus gar nicht existiert und dass Gott eine Infektion nicht zulassen wird. Viele ignorieren die Maßnahmen von Bewegungseingrenzungen, Mindestabstand, Gesichtsmaskenpflicht. Immer wieder kann man Menschenmassen in Banken und Supermärkten, Apotheken, Märkten, Bushaltestellen und in den Bussen selbst erleben. All das entspricht nicht den offiziellen Orientierungen von Bürgermeister und Gouverneur. In Piauí haben bisher mehr als 1.000 infizierte Menschen Krankenhäusern aufgesucht. Mit mehr Corona-Tests auf der Straße schnellt die Zahl der Infizierten in die Höhe. Viele Menschen mussten in Krankenhäusern stationär behandelt werden, über 100 landeten auf Intensivstationen. Es gibt nur wenige Atemgeräte. Gesundheitsminister, Bürgermeister und Gouverneur sagten heute, dass die Anzahl der Schwerkranken auf den Intensivstationen wohl noch dramatisch ansteigen wird. Sie denken, dass es ab Mitte Mai keine freien Intensivbetten mehr geben wird. Das Gesundheitssystem ist kurz vor dem Zusammenbruch. Unsere Ärzte werden schon bald entscheiden müssen, wer leben darf und wer sterben wird. Die Migration von Kranken aus dem benachbarten Bundesstaat Maranhão wird unterbunden werden. Es werden zwar Notkrankenhäuser gebaut, aber es gibt dafür keine Beatmungsgeräte, Schutzkleidung oder Intensivbetten - nur Pritschen, um im Liegen sterben zu können.

Hier in Teresina (Hauptstadt von Piauí) ist es vor allem der Hunger, der die Armen am Stadtrand bedroht. In den beiden Monaten April und Mai verteilte unsere Pfarrei schon zahlreiche Lebensmittelkörbe (cestas básicas). Auch in unserem Sozialprojekt für Kinder und alleinerziehende Mütter haben wir uns organisiert und schon mehr als 100 Lebensmittelkörbe an die bedürftigsten Familien verteilt. Eine Freiwillige, Dona Elena, hat sich angeboten, mir beim Nähen von Gesichtsmasken zu helfen. Das können wir zu Hause machen. Wir haben 130 Masken gefertigt und an Familien in unserem Stadtteil an den Bahngleisen verteilt. Wir haben Stoffe gekauft, damit wir nächste Woche noch mehr Masken verteilen können. In dieser Krisenzeit bin ich während der Woche nur zwei Tage im Projekt. Ich begleite dann stundenweise maximal zwei Geschwisterkinder aus einer Familie, wobei ich versuche, alle Schutzmaßnahmen zu respektieren. An den anderen Tagen nähe ich Schutzmasken für die Armen. Natürlich habe auch ich Angst, mich zu infizieren. 

Wenn sich die Situation nicht verbessert, benötigen wir möglicherweise noch mehr Lebensmittelkörbe, denn viele unserer Familien leben von Gelegenheitsarbeiten und damit von der Hand in den Mund. Aber die angeordnete häusliche Quarantäne nimmt ihnen alle Verdienstmöglichkeiten. Und dann steht der Hunger vor der Tür! Deshalb bin ich sehr froh, dass wir mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland Lebensmittelhilfe leisten können. Ich sah eine Mutter, die auf Knien, um der Liebe Gottes willen, um Essen für ihre hungernden Kinder bat. Dieser Anblick war für mich sehr schwer zu verkraften, obwohl ich schon viele ähnliche Situationen durchgemacht hatte. Die Lage verschlechtert sich täglich dramatisch. Heute haben wir in Teresina, mehr als 13.000 Covid-19 Kranke. Doch der Bürgermeister weist auf eine hohe Dunkelziffer hin: Wenn wir die ganze Stadtbevölkerung testet könnten, würde sich die offizielle Zahl von Infizierten um ein Vielfaches erhöhen. Freie Intensivbetten sind nicht mehr zu finden und bestellte Gesichtsmasken aus China bleiben aus. Wir leben praktisch wie mit einem Strick um den Hals.

Mit dankbaren Grüßen und herzlichen Gesundheitswünschen,

Schwester Maria Arli Sousa Nojosa
Franziskanische Katechetenschwester 
Teresina-Piauí / Nordostbrasilien

 

Aus dem Portugiesischen übersetzt von Augustinus Diekmann ofm.